Britische „Lockdown Files“ zeigen Notwendigkeit einer gründlichen Aufarbeitung

Drei Jahre, fast auf den Tag, sind nun vergangen, seit die Föderalregierung Belgien in einen ersten Lockdown schickten. Es sollten weitere sowie eine ganze Reihe von Maßnahmen folgen, die unser Leben stark beeinträchtigten, liebgewonnene Gewohnheiten aushebelten und sogar tief in unsere verfassungsmäßig garantierten Grundrechte und Grundfreiheiten eingriffen.

Lange Zeit fehlte in Belgien zu diesen einschneidenden Maßnahmen, die meistens freitagsabends durch ein neu geschaffenes Organ, den „Konzertierungsausschuss“ verkündet wurden, wenn das Land schon im Wochenendmodus war, eine solide gesetzliche Grundlage. Ob die Entscheidungen der Regierungen, einschließlich der der Deutschsprachigen Gemeinschaft – Ministerpräsident Oliver Paasch war Teil des Konzertierungsausschusses – wissenschaftlich fundiert waren, dazu müsste das Parlament eine gründliche Untersuchung dieser Entscheidungen beschließen.

Ob die jeweiligen Parlamente den Mut haben, eine solche Untersuchung zu beschließen und durchzuziehen, ist fraglich. Das wäre aber umso wichtiger, als die meisten Parlamente während der Pandemie ihre Entscheidungsbefugnis weitgehend an die Regierungen abgegeben hatten.

Wie wichtig eine Aufarbeitung der Coronomaßnahmen wäre, zeigen jetzt die in Großbritannien veröffentlichten sogenannten „Lockdown Files“. Dabei handelt es sich um Hunderttausende Nachrichten zwischen Ministern und Beamten in WhatsApp-Gruppen. Die Veröffentlichung der Nachrichten in der Tageszeitung „Telegraph“ zeigt, dass viele der im Vereinten Königreich getroffenen Regierungsentscheidungen alles andere als wissenschaftlich fundiert waren. Dabei hatte Großbritannien früh eine strukturierte wissenschaftliche Begleitung der Regierungsarbeit aufgebaut.

Maskenpflicht, Ausgangssperren, Schulschließungen – nicht selten ignorierte vor allem der britische Gesundheitsminister Matt Hancock den Ratschlag der beratenden Wissenschaftsgremien. Man traf, so mutmaßt der „Telegraph“, politisch motivierte Entscheidungen. Z.B. forderte Hancock ein hartes Durchgreifen der Polizei gegen Personen, die sich nicht an den strengen Lockdown hielten – während man in Downing Street 10 Partys feierte. Auch die Maskenpflicht für Schüler und Schulschließungen habe man ohne wissenschaftliche Evidenz beschlossen. Die Weitergabe der Nachrichten aus den WhatsApp-Gruppen durch die Journalistin Isabel Oakeshott, die diese unter dem Siegel der Vertraulichkeit von Hancock selbst erhalten hatte, für den sie an dessen Memoiren arbeitete, zeigt, wie wichtig eine Aufarbeitung der politischen Entscheidungen zu Corona auch in Belgien ist. Immerhin haben die Lockdowns, die Einschränkungen für die Unternehmen und den Handel im Land sowie die vielen Begleitmaßnahmen zu einem wirtschaftlichen Einbruch geführt, wie Belgien ihn seit Jahrzehnten nicht erlebt hatte. Auch in der DG gab es fragwürdige Äußerungen, die förmlich nach einer Aufarbeitung schreien. So erklärte Minister Antoniadis im Dezember 2021, „Wir kommen ohne eine Impfpflicht für alle aus dieser Situation nicht mehr raus.“ Und ohne „eine Grundimmunisierung durch die Impfung“ sah er den Tod tausender Menschen voraus. Seine Kollegin Isabelle Weykmans war sich sicher, dass ihre zweite Impfung „einen totalen Schutz garantiert. Wenig später musste sie zugeben: „Auch mich hat Corona erwischt, obwohl ich geimpft war.“

Auch die Langzeitfolgen für viele Menschen sind noch nicht absehbar. Da geht es in erster Linie um psychische Folgen, aber auch um nicht durchgeführte Behandlungen oder Fürsorge z.B. bei Krebserkrankung, um die allgemeine Vernachlässigung der Gesundheitsvorsorge, um die eingebremste Entwicklung von Millionen von Kindern in unserem Land.

Ganz zu schweigen von all den wichtigen Aufgaben der Politik, die mit Verweis auf die Notwendigkeit des Corona-Krisenmanagements, jahrelang liegengeblieben sind. Die Folgen sind längst sichtbar: Belgien weist unter den EU-Staaten die höchste Neuverschuldung auf. Und die jahrelangen Bemühungen, die Gesamtverschuldung des Staates zu reduzieren, sind innerhalb von Monaten verpufft: Belgien hat wieder eine Staatsverschuldung von über 100% des Bruttoinlandsproduktes.

Auch in der Deutschsprachigen Gemeinschaft hat das Corona-Management der DG-Regierung tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur finanzieller Natur. So hat die Coronakrise gezeigt, dass die Autonomie durchaus ihre Grenzen hat: Im Unterrichtswesen beispielsweise konnte die DG-Regierung keinen eigenen Weg gehen. Ob sie ihn gegangen wäre, ist sowieso fraglich. Denn die DG-Regierung hat sich mehr durch großen Gehorsam und ein übereifriges Umsetzen der (gemeinsam) beschlossenen einschränkenden Maßnahmen hervorgetan, z.B. bei der Sperrstunde. Auch wenn viele dieser Maßnahmen, wie wir heute wissen, wissenschaftlich nicht begründet waren und nicht selten über das Ziel hinausschossen.

Eine gründliche Aufarbeitung wäre deshalb, auch in Belgien und in der DG, dringend geboten. Doch dazu mehr in späteren Beiträgen.

 „Diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern können,
sind dazu verdammt, sie zu wiederholen.“
George Santayana, Philosoph

Als Anzeige im KurierJournal vom 22.03.2023 veröffentlicht.

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