Die Flutkatastrophe vor zwei Jahren

Ende letzter Woche jährte die schlimme Überflutung im Wesertal sich zum zweiten Mal. 39 Menschen kamen bei dieser Katastrophe ums Leben, das ganze Wesertal zeigt auch jetzt noch die Wunden, die die Wassermassen hinterlassen haben. Doch die Verantwortung für die zahlreichen Versäumnisse, Pannen und das Kommunikationsdesaster auf Seiten der wallonischen, der Provinz- und der föderalen Behörden, die diese Katastrophe zusätzlich verschlimmert haben, hat und will bis heute niemand übernehmen.

Wie viele Bürger, die uns kontaktieren, findet Vivant Ostbelgien dieses Verhalten skandalös und inakzeptabel. Wie kann die Ecolo-Abgeordnete im Wallonischen Parlament Anne Kelleter behaupten, „die Regeln“ seien verantwortlich gewesen, und gleichzeitig den an erster Stelle für diese Regeln verantwortlichen Minister für Klima und Infrastruktur, ihren Parteifreund Philippe Henry in Schutz nehmen? Diese Regeln sind ja nicht, im Gegensatz zu dem unaufhörlichen Regen Mitte Juli 2021, vom Himmel gefallen. Sie sind von Henry, von der jetzigen Regierung und von ihren Vorgängern gemacht worden. Und wenn sie versagt haben, muss dafür jemand gerade stehen.

Für die Versäumnisse und das institutionelle Chaos in Namur, Lüttich und Brüssel tragen auch die PS, die MR und auch „Les Engagés“, früher CDH eine Mitschuld. Sie haben die Regierungen der letzten Jahrzehnte in Namur gestellt. Zwar ist es begrüßenswert, dass Christine Mauel (PFF/MR) anders als Anne Kelleter wenigstens zugibt, dass die Probleme in Namur lagen und nicht in Uccle beim belgischen Wetterdienst. Trotzdem hat sie auch am Ende akzeptiert, dass im Untersuchungsausschuss die Frage der politischen Verantwortung für die Flutkatastrophe ausgeklammert wurde.

Die Flutkatastrophe war unvermeidbar. Das sehen wir von Vivant auch so.

– Wenn allerdings die Talsperre in Eupen und der ganze, schlecht organisierte Verwaltungsapparat der Wallonischen Region (und der Provinz bis hin zum Innenministerium in Brüssel) die nachweislich vorliegenden Warnungen ignoriert hat, die Lage falsch eingeschätzt hat, falsche oder zu späte Entscheidungen getroffen hat,

– Wenn man jahrelang das Aufsichts- und Überwachungspersonal der Talsperre abgebaut hat, gleichzeitig aber die Zentralverwaltung in Namur aufgebläht hat

– Wenn es keine oder eine mangelhafte Kommunikation gab,

– Wenn die Talsperre auf dem Höhepunkt der Krise Millionen Liter Wasser in kürzester Zeit in die Weser ablässt und damit richtige Flutwellen verursacht

dann tragen dafür der zuständige Minister und die Regierung in Namur die Verantwortung.

Es ist ein schlechter Witz, wenn Frau Kelleter die Schuld für die verzögerte Ausschreibung einer externen Kontrolle auf die Unterbesetzung des Ministeriums von Philippe Henry schiebt. Es heißt, dass in diesem Ministerium bis zu 5.000 Leute beschäftigt sind. Dann sollte man jemand finden, der eine Ausschreibung vorbereitet. Wenn Minister schon so viel Geld verdienen, dann darf man erwarten, dass sie Prioritäten setzen können. Kaum ein Staat leistet sich so viele Minister und Beamte wie Belgien.

Es ist ein Hohn für die Opfer, dass eine gewählte Volksvertreterin so etwas schreibt.

Erst vorgestern wurde eine Studie des Wirtschaftsinstituts Molinari in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) veröffentlicht, nach der Belgien in punkto Steuerlast innerhalb der EU auf Platz 2 hinter Frankreich liegt. Der belgische Staat erhebt also nach Frankreich die höchsten Steuern und Abgaben innerhalb der EU. Die Studie kommt, wie heute im Grenz-Echo zu lesen ist, weiter zu dem Schluss, dass es den belgischen Behörden nicht gelingt Dienstleistungen zu erbringen, die auch tatsächlich den Summen entsprechen, die den Arbeitnehmern in Form von Steuern „abgeknöpft“ werden. Ein insgesamt schlechtes Zeugnis für den politischen Apparat.

Wir von Vivant wiederholen unsere Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung der Geschehnisse, damit so etwas nie wieder passiert. Und wir fordern, dass die Regierung in Namur für die vielen Pannen die Verantwortung übernimmt, an erster Stelle der für die Talsperren zuständige Minister Henry.

Die hohen Gehälter von Minister und Beamten in Führungspositionen in den Behörden werden oft auch damit begründet, dass Personen in diesem Amt eine große Verantwortung tragen. Dann sollten die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Fehler begangen haben. Warum sollte sonst in Zukunft ein Minister oder Beamter Interesse haben, Fehler zu vermeiden, wenn es für ihn keine Konsequenzen hat?

Wir hoffen, dass der für den Herbst angekündigte Bericht eines Untersuchungsrichters, der von der Staatsanwaltschaft Lüttich mit der Aufarbeitung der Katastrophe beauftragt wurde, Antworten auf die noch offenen Fragen gibt. Es ist fraglich, ob er die Frage nach der politischen Verantwortung für den desolaten Zustand der Behörden auf den verschiedenen Ebenen des Staates beantworten wird. Vivant findet es beschämend, dass die wallonische Regierung diese Verantwortung auch zwei Jahre nach der Katastrophe noch nicht auf sich genommen hat. Die 39 Todesopfer und die Milliarden schweren Schäden dieser schlimmen Katastrophe werden damit nicht ungeschehen gemacht. Aber die Opfer haben es verdient, dass jemand die Verantwortung für die politischen Versäumnisse auf sich nimmt.

Vivant Ostbelgien

Diana Stiel, Alain Mertes, Michael Balter

Als Anzeige im KurierJournal vom 19.07.2023 veröffentlicht.

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