Möglicher Amtsmissbrauch, Vernichtung öffentlicher Dokumente und Korruptionsverdacht
Nachdem Vivant Ostbelgien bereits im Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft einen Resolutionsvorschlag zur Offenlegung aller Verträge sowie der gesamten Kommunikation der EU mit dem Pharmakonzern Pfizer/BioNTech eingebracht hatte, geht die Partei nun den nächsten Schritt und schließt sich einer Klage gegen die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an. Es geht um die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs, der Vernichtung wichtiger öffentlicher Dokumente und möglicher Korruption. In all diesen Punkten hat die Kommissionspräsidentin nach Ansicht des belgischen Klägers, Frédéric Baldan, gegen geltendes belgisches Recht verstoßen. Dieser Klage schließt sich Vivant Ostbelgien nun an.
Die V.o.G. Vivant Ostbelgien sowie ihre Mitglieder Michael Balter, Diana Stiel und Alain Mertes werfen Ursula von der Leyen vor, mit diesen mutmaßlichen Gesetzesverstößen das Recht auf Transparenz und das Vertrauen in die europäischen Institutionen zu verletzen. „Es handelt sich um Grundrechte und deren Verletzung durch Frau Ursula von der Leyen, das schädigt den Rechtsstaat sowie die Demokratie in Europa und in Belgien“, so steht es in der Anklageschrift, die Vivant Ostbelgien am 12. Oktober 2023 bei dem zuständigen Untersuchungsrichter am Gericht Erster Instanz in Lüttich hinterlegt hat.
Worum geht’s?
Als sich Ende 2020 abzeichnete, dass Pfizer/BioNTech einen Corona-Impfstoff auf den Markt bringen würde, gab es eine Diskussion in der EU, ob man nicht gemeinsam Impfstoffe ordern sollte. Mit dem gemeinsamen Vorgehen wollte man vermeiden, dass sich die Mitgliedstaaten gegenseitig Konkurrenz machen. Zudem erhoffte man sich durch gemeinsames Vorgehen mehr Gewicht in den Verhandlungen mit den Pharmakonzernen. Geführt wurden die Verhandlungen des ersten und zweiten Ankaufsvertrags mit Pfizer/BioNTech von einem gemeinsamen Verhandlungsteam, dem Vertreterinnen und Vertreter der EU-Kommission und Sachverständige aus mehreren Mitgliedstaaten angehörten. Dieses Team verhandelte gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten und in ihrem Namen unter der Leitung des Lenkungsausschusses für Impfstoffe.
Die Verhandlungen für den dritten Ankaufvertrag übernahm dann jedoch die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen persönlich. Ein Mandat der Mitgliedstaaten habe sie dafür nicht gehabt, klagen die drei Vivant-Mandatare im PDG. Auch gäben die EU-Verträge eine solche Vorgehensweise nicht her. Die Kommissionspräsidentin habe kein Recht gehabt, geheime persönliche Verhandlungen mit Pfizer/BioNTech zu führen. Damit verstoße sie gegen Art. 227 des belgischen Strafgesetzbuches.
Zweitens wirft Vivant von der Leyen vor, die SMS-Nachrichten, die sie mit dem CEO von Pfizer, Albert Bourla, in dieser Sache ausgetauscht habe, nicht zu veröffentlichen. Es wird zudem vermutet, dass diese vernichtet wurden. Das stelle einen Verstoß gegen Art. 242 der belgischen Strafgesetzgebung dar.
Drittens bezichtigen die drei Parlamentarier der PDG-Oppositionspartei Vivant die Kommissionspräsidentin der „illegalen Vorteilsnahme und Korruption“. Diese Themen sind Gegenstand der Art. 246 bis 253 des belgischen Strafgesetzbuches. Konkret werfen die Abgeordneten der Kommissionspräsidentin vor, sie habe möglicherweise eine persönliche Beziehung zu Albert Bourla unterhalten, ohne diese, wie erforderlich, vorab öffentlich erklärt zu haben. Dieser Verdacht werde durch die Tatsache, dass die EU rund 80% des gesamten Ankaufsvolumen an ein einziges Unternehmen, den Pharmariesen Pfizer/BioNTech, vergeben habe, untermauert.
Die Klageschrift führt auch eine vergleichbare Klage und ein Urteil des Obersten südafrikanischen Gerichts, des „High Court of South Africa – Pretoria Division“ an. Das Gericht in Pretoria hatte das Gesundheitsministerium Südafrikas dazu verurteilt, der klagenden Partei eine integrale Kopie der Kaufverträge für Impfstoffe beim Pharmakonzern Pfizer/BioNTech auszuhändigen. Der Richter hatte geurteilt: „In meinen Augen ist es selbstverständlich, dass es ein öffentliches Interesse an der Offenlegung der Dokumente gibt.“
Da diese Dokumente einschließlich der Konditionen des Handels öffentlich seien, gebe es keinen Grund, so die Kläger, dass die EU-Kommission die vergleichbaren Verträge, die die EU mit Pfizer/BioNTech geschlossen habe, nicht veröffentlicht.
Die Brüsseler Behörde hat sich bislang trotz eindringlicher Nachfrage durch EU-Abgeordnete, Journalisten, Verbände und Bürger strikt geweigert, die Verträge des Deals zu veröffentlichen, in dem es laut EU-Rechnungshof um nicht weniger als 1,8 Milliarden Impfstoffdosen im Gesamtwert von rund 35 Milliarden Euro geht. Und das, so die Kläger, obwohl es kein bekanntes Mandat der EU-Mitgliedstaaten an die Kommission gab, den Vertrag vom 7. Mai 2021 mit Pfizer/BioNTech zu verhandeln und abzuschließen. Der EU-Rechnungshof hatte die gleiche Feststellung in einem Bericht gemacht, der am 13. September 2022 veröffentlicht worden war. Auch die Nachfrage des Rechnungshofes ignorierte die EU-Kommission. Und das, so steht dort zu lesen, trotz der Intervention der EU-Ombudsfrau. Diese hatte der Kommission „schlechte Verwaltung“ vorgeworfen und sie aufgefordert, ihre Recherchen nach dem verschwundenen SMS-Austausch zu intensivieren.
Es mehren sich Gerüchte, dass die Textnachrichten auf dem Handy von Kommissionspräsidentin von der Leyen nicht mehr auffindbar sind und wahrscheinlich gelöscht wurden. Kritiker der Vorgehensweise der EU-Behörde und vor allem ihrer obersten Vertreterin werfen dieser vor, durch ihr Handeln und die Konzentration auf einen spezifischen Lieferanten die eigene Verhandlungsposition geschwächt zu haben und wahrscheinlich deswegen zu hohe Preise gezahlt zu haben. „Gelder“, so die drei Vivant Abgeordneten, „die auch von belgischen Steuerzahlern kommen. Auch deshalb wollen wir unbedingt Licht in diesen Skandal bringen und haben uns der Klage unseres Mitbürgers angeschlossen.“
Vivant Ostbelgien
Diana Stiel, Alain Mertes, Michael Balter