Interview: „Wir haben noch viel Potenzial“ – Vivant steuert mit Rückenwind auf die nächsten Wahlen zu

„Vivant leistet in der DG als einzige Partei richtige Oppositionsarbeit“: Das sagt Sprecher Michael Balter zehn Monate vor den nächsten Gemeinschaftswahlen am 9. Juni 2024. Das GrenzEcho sprach mit ihm über die Aussichten seiner Partei.

Michael Balter geht es wieder besser. Bei den Festlichkeiten zum Nationalfeiertag in Kelmis, an denen er als Vertreter des DG-Parlamentes teilnahm, wurde er von Fahnenstangen getroffen, die im Wind umgekippt waren. „Das hätte viel schlimmer ausgehen können. Nicht auszudenken, ein Kind wäre getroffen worden“, schaut er zurück.

Der Vivant-Sprecher richtet den Blick nun wieder nach vorn.

Er dürfte wieder die Liste für die PDG-Wahlen anführen, auch wenn die Entscheidung offiziell noch aussteht. „Ich stehe für diese Position zur Verfügung“, sagt der 47-Jährige im Gespräch mit dem GrenzEcho. „Die definitive Entscheidung werden wir aber gemeinsam in der Gruppe treffen.“

Abwarten müsse man auch, was die weiteren Listenplätze angeht. 2019 hatten Diana Stiel auf Platz zwei und Alain Mertes auf Platz drei kandidiert. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, mit den beiden weiter zusammenzuarbeiten und dass sie auf vorderen Plätzen der Liste stehen. Die letzten vier Jahre sind wir als Team gemeinsam gewachsen. Vivant leistet in der DG als einzige Partei richtige Oppositionsarbeit. Und das schätzen die Menschen und kommen auf uns zu“, sagt Michael Balter.

„Wir funktionieren aber nicht wie die ‘etablierten’ Parteien, die Mitglieder nach dem System ‘Wer bringt die meisten Stimmen’ aufstellen, sondern danach, wer unsere Gesamtphilosophie mitträgt: Das System, in dem wir leben, muss infrage gestellt werden. Ein Umdenken in der Politik ist dringend notwendig. Dazu bedarf es eines kritischen Geistes und des Willens zur Veränderung. Das macht die Entscheidungsfindung bei uns schwieriger.“

Bei den letzten Wahlen galt die Vivant-Liste als „eifellastig“, weil relativ wenige Kandidaten aus dem Norden kamen. Für Michael Balter ist das kein Problem: „Die Aufklärung über Missstände in Politik und Gesellschaft und das Aufzeigen alternativer Wege stehen weiterhin im Vordergrund unserer politischen Arbeit. Dafür brauchen wir Menschen auf unserer Liste, die diesen Weg mit uns gehen wollen. Woher diese Menschen kommen, ist zweitrangig.“

Für die Zusammenstellung der Liste lasse man sich Zeit. „Wir haben es da nicht so eilig wie die anderen Parteien, die scheinbar schon im Wahlmodus sind. Wir machen erst einmal unsere Arbeit.“ 2019 hatte Vivant gerade in der Eifel sehr stark abgeschnitten, teilweise ohne Kandidaten aus den jeweiligen Gemeinden. „Ein Journalist nannte dies einmal das ‘Phänomen Vivant’. Wir sind in drei Gemeinden stärkste Kraft geworden – Büllingen, Bütgenbach und Amel. Ich persönlich hatte die drittmeisten Stimmen von allen Kandidaten aller Listen und dies, weil bereits 2019 zahlreiche Bürger eine andere Politik wollten“, blickt der Vivant-Sprecher zurück. „Die bestehenden Parteien sind seit Jahrzehnten an der Regierung. Und was ist das Ergebnis? Ein nie gekannter Schuldenberg, immense Probleme im Bildungswesen, keine Rücklagen für den demografischen Wandel. Filz und Klüngel durchziehen die Gemeinschaft. Die Liste ließe sich fortsetzen“, sagt er. „Die Menschen wollten und wollen etwas Anderes, etwas Neues, eine Partei, die nicht in diese Seilschaften der alten DG-Parteien verstrickt ist. Vivant ist und bleibt eine starke unabhängige Kraft, und wir haben noch viel Potenzial, sowohl im Norden als im Süden der DG.”

Dass Vivant „nur“ eine Protestpartei sei, lässt er so nicht stehen: „Ich glaube, dass die Bürger Vivant wählen, weil sie eine Veränderung wollen. Mit Protest hat das auch, aber nicht nur zu tun. Eher damit, der Realität ins Auge zu schauen und zu sagen: So geht es nicht weiter. Und stärkste politische Kraft in drei Gemeinden der DG zu werden, zeugt auch vom Vertrauen der Menschen in die geleistete Arbeit.“ Auch gegen den Eindruck, Vivant wolle politisches Kapital aus der Coronakrise schlagen, wehrt er sich. „Der Aufwärtstrend von Vivant begann lange vor Corona. Bei unseren Interventionen rund um das Management der Coronakrise geht es nicht darum, immer wieder etwas hervorzukramen, um zu punkten.“

Über zwei Jahre per Erlasse zu regieren und zahlreiche Grundrechte außer Kraft zu setzen, bleibe politisch und juristisch umstritten. „Die negativen Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen werden uns noch über Jahre beschäftigen. Dabei warnten schon kurz nach dem Ergreifen der ersten drastischen Maßnahmen Stimmen aus Medizin und Wissenschaft vor den verheerenden Folgen. Die Konsequenzen der gewählten Politik waren extrem: Alte Menschen starben einsam, ohne jeglichen Kontakt zu ihren Liebsten. Betriebe gerieten trotz finanzieller Hilfen in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die gesamte Wirtschaft kam durcheinander, das soziale Leben stand still“, sagt Michael Balter.

Er fügt hinzu: „Die Jugendlichen wurden teilweise ihrer Jugend beraubt. Die psychischen Probleme von Kindern und Jugendlichen haben dementsprechend dramatisch zugenommen. Nicht wenige Schüler haben Lernrückstände, die nicht wieder aufzuholen sind, und das bei einem Schulbildungsniveau, das tendenziell sinkt. Viele Menschen leiden unter den Nebenwirkungen der Impfungen, die im Eilverfahren ohne die erforderlichen Tests zugelassen wurden.” In seinen Augen wäre es schlichtweg verantwortungslos, das Thema Corona-Pandemie einfach ad acta zu legen: „Es geht darum, die Fehler zu identifizieren und Verantwortlichkeiten klar zu benennen, damit sich so etwas nicht wiederholt.“

Beim Thema Wahlziel hält er sich bedeckt. 2019 hatte seine Partei den vierten Sitz nur knapp verpasst. „Wahlen sind kein Wunschkonzert. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Positionen dargelegt und Alternativen aufgezeigt. Das werden wir bis zu den Wahlen weiter tun. Der Wähler entscheidet, ob er diese gut findet oder nicht. Natürlich würden wir uns über mehr Sitze freuen. Wir sind gespannt, wie die Wähler sich diesmal entscheiden.“ Vivant sei auch bereit, Verantwortung zu übernehmen, „sollte der Wähler dies wünschen“, sagt Michael Balter.

Bereit auch zu Kompromissen? „Dort, wo Menschen gemeinsam Dinge leiten, organisieren und unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen müssen, sind Kompromisse an der Tagesordnung. Ja, wir sind kompromissbereit. Aber es gibt einen Aspekt, bei dem wir keine Kompromisse machen können und wollen: Das ist die Grundhaltung, Politik ehrlich, verantwortungsbewusst und zum Wohle der Menschen zu machen. Das sagt zwar jede Partei, aber setzt es nicht um, denn Eigeninteressen und Interessenvertretung stehen im Vordergrund. Wir dürfen nicht nur uns selbst sehen. Und dies gilt auf allen Ebenen; ob privat, beruflich oder in der Politik“, betont er.

Und was würde Vivant als Erstes ändern, wenn es mit der Regierungsbeteiligung klappt? „Der ‘Apparat’ DG ist zu groß, zu teuer und zu ineffizient. Deshalb gehören zu unseren Kernthemen der Bürokratieabbau, die Reduzierung der Kosten des politischen Apparats, d.h. der Regierung, des Ministeriums und des Parlamentes. Hier gibt es noch viel Potenzial. Die Entwicklung der letzten Jahre macht deutlich, dass wir weniger Politik und weniger Verwaltung brauchen und nicht mehr.“ Durch Abbau von Dekreten und Regelungen und durch ein Mehr an Eigenverantwortung für Bürger und Unternehmen könne zugleich bares Geld eingespart und der Unternehmergeist in Betrieben und Vereinen gefördert werden. Weitere Prioritäten seien eine bessere „Motivation“, um Arbeitslose, „die sich im derzeitigen System verstecken“, wieder in Arbeit zu bringen. „Im Unterrichtswesen brauchen wir dringend eine Dienstrechtsreform, die diesen Namen auch verdient, sowie aus pädagogischer Sicht ein Ende der ständigen Veränderungen. Die Schulen und insbesondere die Schüler brauchen mehr Ruhe und Stabilität. Schulen sollen sich auf ihre Kernaufgabe, die Bildung der Kinder und Jugendlichen konzentrieren können, und zwar auf einem Bildungsniveau, das einen gewissen Anspruch hat und nicht stetig abgesenkt wird. Kurzum, es gibt viel zu tun. Wir sind bereit, es anzupacken.“

Veröffentlicht im GrenzEcho vom 04.08.2023.

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