Vorige Woche hat die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft ein Sonderdekret ausgearbeitet, welches mit Unterstützung der Mehrheitsfraktionen und der CSP, offiziell im Parlament hinterlegt wurde und am Montag auf einer eigens dafür einberufenen Parlamentssitzung verabschiedet werden soll. VIVANT wird dieses Sonderdekret nicht unterstützen. Die Gründe möchten wir im Rahmen dieser Pressemitteilung erläutern.
„Diejenigen, die wesentliche Teile der Freiheit aufgeben würden, um vorübergehend ein wenig Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit!“ (Benjamin Franklin)
Die Coronakrise hat uns Bürger, zumindest gefühlt, einfach überrannt. Obwohl wir sehen und hören konnten, was in China vor sich ging, war das Geschehen weit weg und so richtig glauben, dass das auch bei uns passieren würde, wollte wohl kaum jemand. Als dann erste Fälle in Belgien auftraten, wurde innerhalb kürzester Zeit das öffentliche Leben in Belgien und damit in der DG heruntergefahren. Schulen wurden geschlossen und kurze Zeit später eine Ausgangssperre verhängt. Jetzt sitzen wir mitten drin und ein Ende ist nicht in Sicht.
Nur noch wenige Menschen, mit einem entsprechend hohen Alter, haben so etwas schon mal erlebt. Bisher kannten sie so etwas nur aus Kriegszeiten. Befinden wir uns also in einer Art Krieg, wie manche hochrangige Politiker behaupten? Nein, ein Krieg, ein gewaltsamer Konflikt zwischen Staaten, ist dies nicht. Doch wir befinden uns in einem Ausnahmezustand, und viele Menschen sind wie paralysiert. Denn die anfängliche Besorgnis ist schnell in Angst und dann, auch aufgrund einer einseitigen Berichterstattung der Medien, sowie der fehlgeleiteten Kommunikation seitens der politisch Verantwortlichen, in Panik umgeschlagen. Und bei allem Verständnis für die Sorgen der Menschen: Angst und Panik sind schlechte Ratgeber!
Wir appellieren an die Besonnenheit aller Verantwortlichen und aller Bürger. Gerade in Krisenzeiten gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Dies ist einfacher gesagt als getan, doch manches Verhalten erinnert mehr an kopfloses Federvieh, als an verantwortungsbewusste Führungskräfte.
Jegliche Emotionalität aus der Entscheidungsfindung heraus zu halten, ist in dieser Zeit von ausschlaggebender Bedeutung. Dies mag vor dem Hintergrund einer als lebensbedrohlich wahrgenommenen Situation befremdend wirken, doch es ist in unseren Augen das Gebot der Stunde. Für Politiker im ganz Besonderen.
Mit diesem Sonderdekret sollen weitreichenden Vollmachten für eine befristete Zeit übertragen werden. So soll die Handlungsfähigkeit der Gemeinden und der Gemeinschaft dadurch gewährleistet bleiben, dass das Bürgermeister- und Schöffenkollegium, respektive die Regierung der DG, Maßnahmen ohne Zustimmung des Gemeinderats bzw. des Parlaments ergreifen können.
Als Begründung wird angeführt, dass die Lage sich so sehr verschlechtern könne, dass die Mitglieder der Räte in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt würden oder aus gesundheitlichen Gründen ihr Mandat nicht ausüben könnten.
Nun ist es sehr unwahrscheinlich, dass große Teile der Ratsmitglieder so sehr erkranken, dass sie ihr Mandat nicht mehr ausüben könnten. Die Räte können durchaus schnell zusammenkommen und die Räumlichkeiten so wählen, dass dabei die „soziale Distanz“ gewahrt bleibt, wie von Experten empfohlen. Die Gemeinde Burg-Reuland hat sogar eine Gemeinderatssitzung über ein digitales System durchgeführt, bei dem alle Ratsmitglieder von zu Hause über ihren Rechner teilnahmen und dabei etliche Tagesordnungspunkte diskutiert und abgestimmt haben.
Vivant sieht keine Notwendigkeit und keine Dringlichkeit, solch drastische Maßnahmen zu ergreifen. Die Übertragung von Sondervollmachten im Bereich der Gesetzgebung, die von Rechts wegen dem Gemeinderat bzw. dem Parlament obliegt, an die ausführende Ebene, also das Kollegium bzw. die Regierung sind tiefgreifende Eingriffe in unser demokratisches System. Die Gewaltenteilung ist eines der Grundpfeiler unserer Demokratie. Diese aufzuheben, wenn auch nur für einen befristeten Zeitraum, kann nur die aller letzte Option sein. Z. B. dann, wenn alles andere nicht mehr möglich ist, wie in Kriegszeiten. Coronavirus hin oder her, von einer Mortalität wie in Kriegszeiten sind wir glücklicherweise weit entfernt!
Zudem haben wir und verschiedene Juristen Zweifel, ob die Übertragung der Gesetzgebungshoheit des Gemeinderats im Einklang mit der belgischen Verfassung steht. Der Ministerpräsident meinte während der Vorstellung dazu, dass man sich in einer Grauzone bewege. Wir haben diesbezüglich ein Gutachten beim juristischen Dienst des Parlaments angefragt. Jeder Parlamentarier leistet bei Amtsantritt einen Eid auf die Verfassung und schwört, diese zu befolgen. Es ist als unsere Pflicht, hier genau hinzuschauen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist dies alles andere als eindeutig geklärt.
Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, Armin Laschet, argumentierte wie folgt gegen eine Ausgangssperre: «Wir haben schon sechs Grundrechte eingeschränkt. Wir sollten nicht noch weiter gehen.» In Belgien sind wir schon viel weiter.
Die Fragen, die es zu stellen gilt lauten: Wie weit wollen wir gehen? Sind wir bereit, die Demokratie für ein angebliches Mehr an Sicherheit zu Grabe zu tragen? Bereits jetzt wurden auf föderaler Ebene weitreichende Maßnahmen, welche in die grundlegenden Freiheitsrechte der Menschen eingreifen, beschlossen. Dabei werden diese als alternativlos dargestellt. Doch es gibt immer Alternativen. Einige Länder gehen andere Wege. Experten und Wissenschaftler haben ganz unterschiedliche Sichtweisen zur aktuellen Lage und dem Umgang damit. Es wird zu analysieren bleiben, wieso welche Entscheidungen getroffen wurden, und welche Konsequenzen diese haben, auch langfristig.
Mit diesem Krisendekret soll des Weiteren ein Sonderfonds in Höhe von 10 Mio. € angelegt werden. Der Grund dafür ist offensichtlich. Durch die in vielen Staaten dieser Erde getroffenen Maßnahmen wird eine Wirtschaftskrise und Finanzkrise eingeläutet, welche laut Ökonomen die Krise von 2008 in ihren Auswirkungen um einiges in den Schatten stellen wird.
Vivant warnt schon seit Jahren vor dieser Finanzkrise und das Coronavirus ist lediglich der Auslöser. Die Ursachen liegen in einer fehlgeleiteten Finanz- und Wirtschaftspolitik, auf die Vivant schon unzählige Male hingewiesen hat.
Trotzdem macht es nun Sinn, von öffentlicher Seite Mittel zur Abfederung dieser Auswirkungen bereit zu stellen.
Hier gilt es aber auch, der Realität ins Auge zu schauen und Prioritäten zu setzen. Dabei sollten vor allem der Mittelstand, der das Rückgrat unserer Gesellschaft darstellt, unterstützt werden. Dabei spielt es keine Rolle, dass die DG nur begrenzt für Wirtschaftsförderung zuständig ist. Weitere bedeutende Bereiche sind die Gesundheitsversorgung sowie die Altenpflege.
Kunst, Kultur und Sport sollten hier nicht im Vordergrund stehen. Sie werden sich in Krisenzeiten neu erfinden. Bricht jedoch die Wirtschaft zusammen, dürfen insbesondere elitäre Kulturvereinigungen nicht künstlich am Leben gehalten werden.
Ein Aspekt, der uns in diesem Krisendekret fehlt, und den wir in den Beratungen angesprochen haben, sind der längst überfällige Bürokratieabbau auf Ebene der Verwaltung. Es ist das Gebot der Stunde, alle finanziellen Mittel gewissenhaft einzuteilen und unnötige Bürokratie abzubauen. Hier besteht auch auf Ebene der DG ein großes Einsparpotential.
Es sollte auch über eine Reduzierung der Beamtenbezüge diskutiert werden dürfen. Während Millionen Arbeitnehmer in Belgien wegen Kurzarbeit drastische Einkommenseinbußen hinnehmen müssen und vielen Selbstständige die Einnahmen komplett weg brechen, nehmen der Föderalstaat und die Regionen neue Schulden auf, um die Folgen ein wenig abzufedern. Hier würde die Reduzierung der Beamtengehälter, vor allem derer, welche nicht arbeiten können, einen Beitrag zur Finanzierung dieser Maßnahmen sein und ein Zeichen der Solidarität darstellen. Ausgenommen sind natürlich alle Bediensteten aus dem Gesundheitswesen.
Das eingangs erwähnte Zitat von Benjamin Franklin sollte uns Anlass zum Nachdenken sein. Freiheit ist ein hohes Gut, dass wir nicht so ohne weiteres aufgeben sollten. Selbst nicht für ein wenig Sicherheit, denn am Ende werden wir womöglich beides verlieren!
Alain Mertes
Michael Balter
Diana Stiel